La La Land – oder Hollywoods irre Liebe zu Musicals

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Ganz vernarrt sind sie in „La La Land“, die Bewohner des Planeten Hollywood. 14 Mal ist dieses Musical für einen Oscar nominiert und damit der große Favorit bei der Gala am 27. Februar. Die Hauptdarsteller Ryan Gosling und Emma Stone sind das Leinwandpaar der Stunde, auch wenn sie im Vergleich zu den Astaires und Rogers‘ etwas weniger geschmeidig auf den Beinen und bei Stimme sind. Und da beginnt das Manko. Denn „La La Land“, so ehrlich sollte man sein, erreicht bei weitem nicht das Niveau der großen Klassiker. Die Choreographien sind alles andere als spektakulär, die Songs bleiben kaum im Gedächtnis. Selbst die kleine Melodie, die Ryan Gosling immer wieder versonnen vor sich hinklimpert, ist eben nicht mehr als: eine kleine Melodie. Dass die Liebesgeschichte eines Jazz-Pianisten zu einer Schauspielerin eher blass gezeichnet ist, gehört dagegen fast schon zu den Spielregeln des Mainstream-Kinos.

Woher also die Begeisterung für diesen eigentlich eher kleinen Film? Vorweg: Es ist der Geist des Musicals, den „La La Land“ absolut authentisch auf die Leinwand bringt. Die Geschichte von kleinen Leuten mit großen Träumen im Show Business, wie sie hier erzählt wird, ist die Quintessenz des Hollywood-Musicals und wurzelt tief in der Zeit der Großen Depression. „Die 42. Straße“ aus dem Jahr 1933 ist nur eines von vielen Beispielen solcher frühen backstage musicals. Das Genre ist als Zuckerpille in bitteren Zeiten auf die Welt gekommen, und bitter fühlen sich die Zeiten offenbar auch heute an. Massen von Menschen in Existenznot, Amerika am Abgrund – und der Politiker der Stunde, Donald Trump, verspricht, die Nation mit seinen „Deals“ wieder aufzurichten. In den 1930ern war das der „New Deal“ Roosevelts.

Es gibt einen weiteren Grund für Hollywoods Liebe zu Musicals. Ist der Western seit „The Great Train Robbery“ (1903) der große alte Patriarch unter den Genres (,dem niemand mehr zuhört), so ist das Musical ohne Zweifel die Königin, trotz ihrer bescheidenen Herkunft. Denn in keinem anderen Genre vergewissert sich Hollywood so sehr seiner selbst. Nicht nur, dass sich das Kunstvolk von den eigenen Nöten erzählt. Mehr noch ist es das Bekenntnis zum eigenen Handwerk: Das Kino wirft im Musical den Mantel der Nachahmung ab und überschreitet selbstbewusst die Grenze zur Performance. Auch „La La Land“ beginnt mit diesem Bekenntnis zur Kunst. Es ist nicht zufällig das Alltagseinerlei eines Staus, das die Tänzer in eine Choreographie verwandeln. Hollywood sagt uns hier: Willkommen, liebes Publikum, lassen Sie Ihre Sorgen zurück, das hier ist Kino! UNSER KINO!

Gönnen wir Hollywood seine irre Liebe zu „La La Land“, denn dieser Liebe verdanken wir einige der schönsten Filme überhaupt.

Diese fünf Musicals gehören zur Grundausbildung jedes Filmliebhabers

Singing in the Rain (1952)

Ein Kino voller Studenten, auf dem Programm steht ein Film aus dem Jahr 1952 – und dann singen die auch noch! Kann das funktionieren? Es kann! Nie wieder habe ich eine solche Stimmung in einem Kino erlebt wie 2004 während meines Studiums. „Singing in the Rain“ ist DAS Musical, hier verschmelzen Film, Tanz und Gesang in Vollendung – und das ebenso unterhaltsam wie höchst reflektiert. „La La Land“ beschwört den Geist genau dieses Film geradezu schüchtern, weil jeder, der daran mitwirkt, genau weiß: Die Klasse von „Singing in the Rain“ ist unerreichbar.

 

Top Hat (1935)

Es beginnt mit Ruhestörung durch Stepptanz und landet bei „Heaven, I’m in Heaven…“: Fred Astaire und Ginger Rogers, das Traumpaar des Musicals schlechthin, tanzen sich hier zu Melodien von Irving Berlin in die Filmgeschichtsbücher. „Top Hat“ war 1935 ein riesiger Erfolg und rettete das kleine Studio RKO vor dem Bankrott. Old fashioned, aber immer noch pure Magie!

West Side Story (1961)

Die „West Side Story“ steht ein wenig unter Kitschverdacht: Es ist die Geschichte von Romeo und Julia unter Einwanderergangs in New York. Doch allein die Dichte von unvergesslichen Songs wie „Maria“, „America“ oder „Tonight“ sollte den Film gegen Nörgler immunisieren. Nebenbei wird die Sehnsucht der von Vorurteilen gepeinigten Immigranten packend erzählt. Zehn Oscars hat „West Side Story“ gewonnen, mehr als jedes andere Musical bislang.

 

Cabaret (1972)

Nein, das ist kein typisches Hollywood-Musical. Und das ist der einzige Grund, warum ich „Cabaret“ nicht an die Spitze der Liste gesetzt habe. Der Übergang von Realität zu Kunst, stilistisch das Wesen des Musicals, wird hier auf eine historische Zeitenwende projiziert: die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland. Die Dreiecksgeschichte um die Sängerin Sally, den jungen Akademiker Brian und den Adeligen Maximilian ist nur eine Schablone, hinter der sich in Berlin 1931 das Unheil Bahn bricht. Und dann diese Songs: „Money makes the world go round!“ und Liza Minnelli haben sich gegenseitig unsterblich gemacht. Acht Oscars hat „Cabaret“ 1973 abgeräumt, bei starker Konkurrenz wie „Der Pate“. Man möchte fast misstrauisch werden. Egal, für mich gehört „Cabaret“ in die Top Fünf der besten Filme überhaupt.

 

Mary Poppins (1964)

Tut mir ja leid, aber ohne „supercalifragilisticexpialigetisch“ ist Ihr Wortschatz nicht komplett. Falls Sie Nachhilfe benötigen, wenden Sie sich vertrauensvoll an Mary Poppins, magisches Kindermädchen mit der schrägen Aura des späten britischen Empire. Das ist Ihnen die Mühe nicht wert? Dann wählen Sie ein Leben ohne „Chim Chim Che-ree“ und den Tanz der Schornsteinfeger. Es ist ein trauriges.

Little Shop of Horrors (1986)

Okay, „Der kleine Horrorladen“ gehört nicht unbedingt zum Kanon der großen Hollywoodmusicals. Und wenn es um schrägen Humor geht, hätte auch die etwas in Vergessenheit geratene „Rocky Horror Picture Show“ einen Platz unter den Top Fünf verdient. Doch „Little Shop of Horrors“ bedient die Spielregeln des Genres so sympathisch, dass ich einfach nicht widerstehen konnte. Einer ganzen Reihe von Stars muss es ähnlich gegangen sein, denn sie veredeln das gut gelaunte Grusical mit Gastauftritten. Höhepunkt: Steve Martin spielt einen sadistischen Zahnarzt – und Bill Murray steht total drauf! In einer früheren Version von B-Film-Papst Roger Corman spielt übrigens kein Geringerer als Jack Nicholson den aufdringlichen Masochisten.

 

 

 

 

 

Timo

Timo Ebbers (37) glaubt nicht an ein Leben nach Hollywood und könnte sich durchaus vorstellen, ein Zimmerchen im Edith-Ruß-Haus für Medienkust zu bewohnen.