Ab ins Zauberland – oder: Warum es sich lohnt, Studio Ghibli Animes zu schauen

Von Tonia Marie Hysky

Anime ist nur was für Kinder? Ganz im Gegenteil. Die zauberhaften Animationsfilme aus dem japanischen Zeichentrickfilmstudio Ghibli beweisen, dass auch Nicht-Manga-Fans optisch und erzählerisch etwas geboten wird. Und das schließt mich mit ein: Ich bin Tonia, 26 Jahre alt, Volontärin bei der Nordwest-Zeitung und von Haus aus Japanologin. In Frankfurt am Main habe ich meinen Bachelor gemacht und war schon immer ein riesiger Fan von Studio-Ghibli Filmen – von Mangas aber irgendwie gar nicht.

Schon mehrmals waren Filme aus dem Studio Ghibli für einen Oscar nominiert, der Film „Chihiros Reise ins Zauberland“ (Titelbild, Imago/EntertainmentPictures) hat sogar einen Preis der Acadamy als bester Animationsfilm abgestaubt. Mitgegründet wurde Studio Ghibli 1985 von Hayao Miyazaki. Der Regisseur ist einer der wichtigsten Filmemacher Japans, die Ghibli-Filme tragen seine Handschrift.

Ein Meister des Anime: Hayao Miyazaki                          Bild: imago/AFLO

 

Einzigartiges Ghibli-Museum in Tokio

In der Tokioter Vorstadt Mitaka gibt es übrigens ein ganzes Ghibli-Museum. Als Japanologin und Miyazaki-Fan durfte ich mir das natürlich nicht entgehen lassen.

Wer auch nur wenige Filme aus dem Hause Ghibli kennt, fühlt sich hier gleich heimisch. Das Museum ist im Stil des österreichischen Künstlers Hundertwasser gestaltet. Hier soll der Besucher selbst die Hauptrolle spielen und auf Entdeckungstour gehen – und zwar nicht durch die Linse seiner Kamera. Diese und Handys sind strikt verboten.

Man kann zusehen, wie ein Zeichentrickfilm entsteht, Originalzeichnungen und -entwürfe besichtigen und sogar den Katzenbus aus „Mein Nachbar Totoro“ bestaunen. Sehr zu meinem Bedauern konnte ich das große Plüschmodell nur von Außen betrachten, denn Erwachsene dürfen den Nachbau vom Katzenbus nicht betreten.

Und jetzt: Vorhang auf…

Hier sind drei gute Gründe, warum Sie den legendären Zeichner Hayao Miyazaki und sein Studio Ghibli nicht verpassen sollten:

 

Nummer 1: „Chihiros Reise ins Zauberland“

Der Film aus dem Jahr 2001 ist in Japan der erfolgreichste aller Zeiten. Dort stieß er sogar James Camerons Blockbuster „Titanic“ vom Thron.

Die kleine Chihiro ist mit ihren Eltern auf dem Weg in ein neues Zuhause. Zwischendurch halten sie an, weil sie sich verfahren haben und geraten durch ein geheimnisvolles Tor in einen verlassenen Vergnügungspark. Auf den Tischen der Restaurants und Imbissbuden steht dampfendes Essen – Menschen sind jedoch weit und breit nicht zu sehen.

Irgendwie hat man als Zuschauer eine leise Ahnung, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Doch genauso wie die Eltern von Chihiro wird man von diesem Ort magisch angezogen, sie stürzen sich mit Heißhunger auf das Essen. Die kleine Chihiro sieht sich lieber in der seltsamen Welt um und trifft auf den Jungen Haku.

Der drängt sie, den Ort vor Einbruch der Dunkelheit zu verlassen. Als sie panisch zurückrennt, haben sich ihre  Eltern in Schweine verwandelt. Ohne sie ist Chihiro zunächst ganz auf sich allein gestellt, bekommt aber schnell Hilfe von Haku, der sie mitnimmt in das Badehaus für Götter – hier hat die Hexe Yubaba das Sagen.

Der geheimnisvolle Haku beschützt Chihiro in der fremden Welt. Bild: dpa

 

Dort muss Chihiro hart arbeiten, und Yubaba raubt ihr obendrein den Namen: Ab sofort heißt sie Sen. Wenn sie ihren richtigen Namen vergisst, wird sie nie wieder in ihre Welt zurückkehren können.

In Chihiros Reise ins Zauberland gibt es so viele Kreaturen und Puzzleteile, die zusammenarbeiten, dass es in jedem einzelnen Augenblick des Films etwas zu entdecken gibt. Das macht den Film keinesfalls unübersichtlich, sondern eher zu einer echten Komposition. Oder wie Hayao Miyazaki sagte: „Die Erschaffung einer einzelnen Welt entsteht aus einer großen Zahl von Fragmenten und Chaos.“

Es ist der weltweit meistausgezeichnete Zeichentrickfilm (er bekam 2003 einen Oscar für den besten Animationsfilm). Die brillante Erzählweise macht den Film auch denjenigen zugänglich, die sonst vielleicht dem Genre Anime nicht viel abgewinnen können.

Der Kunde ist König – in diesem Fall eine Gottheit

Hayao Miyazaki spinnt das „Alice im Wunderland Konzept“ zu einem manchmal bizarren, aber zauberhaften Klassiker des Studio Ghibli. Nur, dass hier eben nicht ein hektischer Hase herumhüpft, sondern ein Mann mit acht Armen einen gigantischen Feuerofen anheizt, ein dicker, schleimiger, stinkender Gott ein wohliges Bad nimmt oder winzige Rußgeister auf dem Boden umherkugeln.

Es ist nicht nur die Geschichte eines kleinen Mädchens, das schnell lernen muss, auf eigenen Beinen zu stehen. Sondern auch ein Hinweis auf den Umweltschutz und das harmonische Zusammenleben von Mensch und Natur. In dem Badehaus von Yubaba sind die Menschen eher die unterdrückte Ausnahme, dort lassen sich nur Gottheiten (auf Japanisch Kami) verwöhnen.

Die Tiere und Fabelwesen sind aber sehr vermenschlicht, zum Beispiel tragen sie traditionelle japanische Kleidung.

Unzertrennbar mit dem Film verbunden ist der Soundtrack – er gibt allen Ghibli-Filmen diesen einzigartigen Touch und trägt sie mit wundervoller Musik.

Nummer 2: „Das wandelnde Schloss“

Auch bei „Das wandelnde Schloss“ aus dem Jahr 2004 ist der Stil Miyazakis unverkennbar. Als Vorlage diente das Buch „Sophie im Schloss des Zauberers“ der englischen Schriftstellerin Diana Wynne Jones. Und auch hier spielt wieder ein kleines Mädchen die Hauptrolle, welches sich plötzlich in der Welt der Erwachsenen zurechtfinden muss.

Sophie arbeitet im Hutgeschäft ihres verstorbenen Vaters. In ihrer Welt gibt es Magie, auf der anderen Seite ganz rational aber auch schon die beginnende Industrialisierung wie Flugzeuge oder Dampfmaschinen.

Die Geschichte spielt in der Zeit eines Krieges – auch das ist ein wiederkehrendes Thema in Filmen von Hayao Miyazaki. Eines Tages lernt Sophie den hübschen Zauberer Hauro kennen. Der trägt sie sprichwörtlich auf Händen und rettet sie vor aufdringlichen Soldaten – verschwindet danach jedoch wieder. Eine seichte Liebesgeschichte auf den ersten Blick, doch Sophie wird nicht so wunderschön und jung bleiben. Die böse Hexe aus dem sogenannten „Niemandsland“ ist eifersüchtig und verflucht Sophie. Das Mädchen erwacht am nächsten Morgen als 90-jährige Frau.

Aus Scham und Schreck flieht Sophie aus der Stadt und macht sich auf die Suche nach Hauro und seinem wandelnden Schloss. Der Zauberer soll den bösen Fluch rückgängig machen. Im „Niemandsland“ stößt sie dann auf Hauros Wohnsitz, ein bizarres Gebilde aus Stahl.

Ein Zauberer als Kriegsmaschine

Schwerfällig, mit metallenen Hühnerbeinchen und dickem Bauch aus genieteten Platten, stakst es quietschend und dampfend über die Hügel. Die kuriose Wohngemeinschaft im Schloss besteht aus Hauro, dem Feuerdämon Calcifer und dem Zauberlehrling Markl. Sophie stellt sich kurzerhand als Putzfrau selbst ein, um bei Hauro und seinen Gefährten bleiben zu können.

Schnell merkt Sophie, dass Hauro nicht der sympathische Zauberer ist, für den sie ihn zunächst gehalten hat. Auf Druck des Königs muss er seine übernatürlichen Kräfte einsetzen, um im Krieg zu kämpfen. Bedrohlich lässt Hayao Miyazaki Kriegsmaschinerie am Horizont aufziehen – der Film thematisiert auch die Ängste und Probleme der Menschen während des Krieges. Hier wird einmal mehr deutlich, dass es sich nicht um ein seichtes Märchen handelt, das vor den Augen der Zuschauer belanglos dahinplätschert. Der Krieg schwebt als drohendes Unheil immer im Hintergrund.

Rauchendes Ungeheuer: Das wandelnde Schloss aus dem gleichnamigen Anime-Film.                                            Bild: imago/EntertainmentPictures

 

Von der starren Aufteilung in Gut und Böse hält Miyazaki nichts. Stattdessen hat in seinen Filmen jeder Charakter seine Beweggründe und auch seine Licht- und Schattenseiten. Vielleicht ist das auch ein bisschen Anti-Disney. Der Zauberer Hauro ist einerseits charmant, andererseits auch sehr eitel und narzisstisch. Aber auch der Dämon Calcifer hilft nicht ohne Hintergedanken.

Die Türen des Schlosses sind Portale zu vier verschiedene Welten und Zeiten. Am Ende des Films wird es selbst für den erwachsenen Zuschauer etwas schwierig zu folgen, das tut der Spannung des Plots aber keinen Abbruch.

Auch in diesem Film schafft Hayao Miyazaki den Spagat, ernste Themen wie hier den Krieg in einem Film elegant mit einem charmanten Abenteuer zu verflechten.

2006 war „Das Wandelnde Schloss“ sogar für einen Oscar in der Kategorie „Bester Animationsfilm“ nominiert. Der Soundtrack passt wie bei allen Ghibli-Filmen wie die Faust aufs Auge und macht den Film auch hörenswert. Er trägt den Zuschauer manchmal so leicht durch die Szenen, wie Zauberer Hauro seine Sophie über die Dächer der Stadt.

Hayao Miyazakis Filme berühren. Vielleicht auch aus dem Grund, da neben der Magie und Fantasie auch immer ein Bezug zu unserer Welt gegeben ist. Mit all ihren Problemen. Es ist eine große Kunst, sowohl Kinder als auch Erwachsene für seine Filme zu begeistern.

Nummer 3: „Mein Nachbar Totoro“

„Mein Nachbar Totoro“ – das ist übrigens auch das Logo des Studio Ghibli – ist einer der ältesten Filme aus dem Hause Ghibli, veröffentlicht wurde er 1988.

Zugegeben… es ist tatsächlich einer der wenigen Ghibli-Filme, der wirklich Kinder ansprechen soll. Denn eigentlich alle Filme, die aus der Feder Miyazakis stammen, haben einen ernsten Hintergrund. Der Film ist quasi wie die Figur Totoro selbst: einfach zum Gernhaben.

Der Film spielt im ländlichen Japan der 1950er Jahre. Die Hauptrolle spielen zwei Mädchen, Satsuki und Mei. Sie sind mit ihrem Vater aufs Land gezogen, um näher bei der kranken Mutter zu sein, die in einem nahegelegenen Krankenhaus liegt. In ihrem neuen Zuhause, einem alten Bauernhaus, findet Mei kleine schwarze Staubbällchen, die wuselig vor ihr flüchten.

Wie in „Chihiros Reise ins Zauberland“ sind es Rußgeister. Eines Tages entdeckt Mei durch einen Zufall im grünen Dickicht den riesengroßen Totoro. Fast so groß wie ein Haus, ist die pelzige und rundliche Kreatur aber sehr friedvoll. Mit dem großen Totoro und seinen Freunden Chibi und Chu erleben die Schwestern Satsuki und Mei ein Abenteuer nach dem anderen.

Eine Prise Musik und ein bisschen Magie

Es ist eine simple Geschichte. Mit der Musik und den zahlreichen Kleinigkeiten ergibt sich aber eine tolle Komposition. Im Gegensatz zu den ersten beiden Filmen spielt in „Mein Nachbar Totoro“ kein Krieg oder eine Liebesgeschichte eine Rolle. Totoro ist zu Recht eine wahre Kultfigur. Nicht nur in Japan, sondern auch in Deutschland.

Zwar fällt der Film hinter Chihiros abenteuerlicher Geschichte oder Sophies Schicksal etwas ab. Sehenswert ist er aber dennoch. Das liegt vor allem an der zauberhaften Gestaltung, ein bisschen Magie und der wunderschönen Musik. Die – na klar – den Film mit sanften Tönen trägt.

Weitere sehenswerte Filme von Studio Ghibli sind zum Beispiel „Kikis Lieferservice“ (1989) oder „Erinnerungen an Marnie“ (2014). Letzterer wurde sogar mal für einen Oscar nominiert.

Für viele Fans ist übrigens „Prinzessin Mononoke“ der Nummer 1 Film von Hayao Miyazaki. Allerdings ist der Animationsfilm von 2001 fast schon ein Kriegsepos und – das kann man so sagen – mit den zahlreichen Schlachten relativ blutig.

Autorin: Tonia Marie Hysky

Timo

Timo Ebbers (37) glaubt nicht an ein Leben nach Hollywood und könnte sich durchaus vorstellen, ein Zimmerchen im Edith-Ruß-Haus für Medienkust zu bewohnen.