Andere Länder, bessere Filme

Wieder eine Liste. Die BBC sagt uns, welche „The 100 greatest American films“ aller Zeiten sind. Spektakuläres findet man in der Auswahl namhafter US-Experten kaum. „Citizen Kane“ an der Spitze, „Godfather“ direkt dahinter und „Casablanca“ noch in den Top Ten, aus dem das passende Zitat von den üblichen Verdächtigen stammt. Vielleicht fehlt „The Last Picture Show“ von Peter Bogdanovich oder „The Deer Hunter“ von Michael Cimino – oder zur Abwechslung  Filme aus dem aktuellen Jahrtausend. Auf „Django“ von Quentin Tarantino hätten die Experten schon kommen können.

Der Jubel, den die BBC dabei über das amerikanische Kino anstimmt, ist wie ein Pfeifen im Walde. Das „powerhouse“ in der Entwicklung des Film, wie die BBC schreibt, ist Hollywood längst nicht mehr. Innovativ ist gods own country of entertainment inzwischen bei komplexen Serien; das simple Kino scheint es hinter sich gelassen zu haben.

Doch die Lobhudelei ist auch für die Geschichte des Kinos übertrieben. Einerseits hat Hollywood immer Stile aus dem Ausland absorbiert und sie mit seiner eigenen DNA verschmolzen. Andererseits hat dieser Anpassungsdruck schon manches zarte Pflänzchen erdrückt, und viele Regisseure haben sich in ihren Kulturen ganz eigene Freiheiten erschaffen. Deshalb stellen wir hier 10 Filme vor, die sicher nicht so großartig wären, wenn sie in den USA gedreht worden wären.

1. Chihiros Reise ins Zauberland (Japan 2001, Regie: Hayao Miyazaki , Bild oben: dpa)

Walt Disney beherrscht die Welt – Donald Duck, Mickey Mouse, Mowgli, Schneewitchen und die sieben Zwerge verwalten das Zeichentrickimperium. Die ganze Welt? Der Japaner Hayao Miyazaki hat in seinen zauberhaften Filmen  einen ganz eigenen Kosmos erschaffen. „Chihiros Reise…“ erzählt die Geschichte eines Mädchens, das sich im Badehaus einer Hexe behaupten muss. Anrührend, anspruchsvoll, fantastisch.

2. Außer Atem (Frankreich 1960, Regie: Jean-Luc Godard)

Dieser Gangsterfilm ist ein Floh im Pelz des klassischen Hollywoodkinos. Jean-Paul Belmondo spielt einen Ganoven, dessen Idol offenbar Hollywood-Ikone Humphrey Bogart ist. Eigentlich ist der Film eine einzige Anspielung an das US-Kino. Doch bürstet Godard die klassische Erzählweise Hollywoods komplett gegen den Strich, lässt Sequenzen in den längst berühmten jump cuts holpern. Deshalb ist „Außer Atem“ auch heute noch viel frischer als das schwüle US-Remake „Atemlos“ mit Richard Gere und Valérie Kaprisky von 1983.

3. if… (Großbritannien 1968, Regie: Lindsay Anderson)

Internatsfilme sind fast ein eigenes Genre, spätestens seit Robin Williams in „Der Club der toten Dichter“ auf den Tisch gestiegen ist. „if…“ ist eine radikale Version aus Großbritannien. Malcolm McDowell, der Wüterich aus „Clockwork Orange“, rebelliert hier mal in Farbe, mal in Schwarzweiß. Wer sich einen Film über Jugend unter autoritären Strukturen anschauen möchte, ohne moralisch eingeseift zu werden, sollte „if…“ nicht verpassen.

4. Infernal Affairs (Honkong 2002, Regie: Andrew Lau und Alan Mak)

Dass „Departed – unter Feinden“ von Martin Scorsese ein ziemlich lahmer Abklatsch ist, wird nur verstehen, wer „Infernal Affairs“ gesehen hat. Die Geschichte des Honkong-Originals ist identisch: Ein Undercover-Polizist und ein Undercover-Gangster liefern sich ein Katz-und-Maus-Spiel. Doch sind die Darsteller frischer, die Anspielungen reicher, der Stil schärfer. An diesem Diamanten kann sich die US-Version nur böse schneiden.

5. Die sieben Samurai (Japan 1954, Regie: Akira Kurosawa)

Sieben Kämpfer verteidigen ein kleines Dorf gegen eine Übermacht von Banditen. Das klingt bekannt, oder? Die Geschichte des Westernklassikers „Die glorreichen Sieben“ ist allerdings nur kopiert. Der japanische Meisterregisseur Akira Kurosawa hat sie bereits 1954 als Samurai-Geschichte bildgewaltig auf die Leinwand gebracht.

6. Nosferatu (Deutschland 1922, Regie: Friedrich Wilhelm Murnau)

Die Amerikaner haben zwar Halloween, doch zumindest der frühe Gruselfilm ist ein Kind aus Deutschland. „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von Robert Wiene, Superverbrecher „Dr. Mabuse“ von Fritz Lang – und eben der beste Vampirfilm aller Zeiten: „Nosferatu“ von Friedrich Wilhelm Murnau. Nichts gegen Frankenstein und Co. Doch diese Monstren sind der wahre Horror.

Zum Themendienst-Bericht "Gesellschaft/Freizeit/Dracula" von Gabriele Thiels vom 21. Juli: Der Gruselklassiker: Max Schreck als Vampir in Friedrich Murnaus Stummfilm "Nosferatu". Honorarfreie Veröffentlichung nur für gms Themendienstbezieher.
Szene aus Murnaus „Nosferatu“. Foto: dpa

7. Ossessione (Italien 1943, Regie: Luchino Visconti)

Nicht nur wegen der originalen Römer, ohne die ein Sandalenschinken nicht funktioniert, besteht ein besonderes Verhältnis zwischen den Filmkulturen Italiens und der USA. In „Ossessione“ hat Luchino Visconti den amerikanischen Roman „The Postman Always Rings Twice“ von James M. Cain verfilmt. Hollywood hat die Geschichte einer femme fatale, die einen smarten Wandervogel dazu verleitet, ihren grobschlächtigen Mann zu ermorden, mehrfach auf die Leinwand gebracht. Doch keine Version ist so faszinierend wie dieses Drama.

8. Alice in den Städten (Deutschland 1973, Regie: Wim Wenders)

Straßen gibt es nicht nur in den Vereinigten Staaten. Deshalb sind Roadmovies auch in anderern Ländern erlaubt. Und Wim Wenders hat mit „Alice in den Städten“, dem Auftakt seiner Roadmovie-Trilogie, ein besonders schönes gedreht. Ein Journalist fährt mit der 9-jährigen Alice durch Deutschland, um ihre Großmutter zu finden. Still, schwarzweiß, bezaubernd schön.

9. Fanny und Alexander (internationale Produktion 1982, Regie: Ingmar Bergman)

Die Filme des Schweden Ingmar Bergman sind so eigen, dass sie kaum in die auf Stringenz und Funktionliät ausgelegt Sprache Hollywoods zu übersetzen sind. „Fanny und Alexander“ ist das Porträt einer bürgerlichen Familie im frühen 20. Jahrhundert, das die Leiden zweier Kinder unter dem Einfluss ihres strengen Stiefvaters zeigt. Schon die gekürzte Kinofassung ist drei Stunden lang, jede Sekunde fesselnd.

10. Solaris (Sowjetunion 1972, Regie: Andrei Tarkowski)

„2001 – Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick hat es in die BBC-Liste auf Rang 4 geschafft. Einen künstlerisch erwachsenen Science-Fiction-Film hat nur wenige Jahre später auch Andrei Tarkowski nach dem berühmten Roman von Stanislaw Lem gedreht. In einer Raumstation werden Astronauten mit Visionen aus ihrem Leben gequält, allerdings nicht in billigen Schockmomenten, sondern in einer epischen, poetischen Inszenierung. Der Film verlangt einem viel ab, ist die Mühe aber unbedingt wert.

Timo

Timo Ebbers (37) glaubt nicht an ein Leben nach Hollywood und könnte sich durchaus vorstellen, ein Zimmerchen im Edith-Ruß-Haus für Medienkust zu bewohnen.