„Griechischer Wein“ oder Der etwas andere Hellmuth Karasek

Hellmuth Karasek ist tot. Der berühmte Literaturkritiker starb am 29. September im Alter von 81 Jahren in seiner Heimatstadt Hamburg. Jetzt kommen die Nachrufe. Die meisten werden ihn als den großen deutschen Nachkriegsintellektuellen würdigen, der er war. Als denjenigen, der sich mit Marcel Reich-Ranicki im „Literarischen Quartett“ über gute und schlechte Bücher stritt. Und natürlich werden sie alle seine Bestseller erwähnen. Völlig zu Recht.

Auch im Oldennerd gibt es einen Nachruf. Denn Karasek hatte auch eine unendliche Leidenschaft fürs Kino. Mitte der 90er-Jahre hätte ich mich seinetwegen fast für das Amerikanistik-Studium der Uni Hamburg eingeschrieben. Einzig allein deshalb, weil er dort ein Seminar mit dem Titel „Einführung in den amerikanischen Gangsterfilm“ hielt. Die Vorlesungen wurden im legendären Hamburger Programmkino „Metropolis“ abgehalten. Nur ein paar vernunftbegabte Freunde hielten mich damals unter enormen Kraftanstrengungen davon ab, meinem Urinstinkt zu folgen und wegen eines einzigen Seminars Amerikanistik zu studieren.

Jahre später – und nach zwei abgebrochenen Studiengängen – begegnete ich Karasek regelmäßig bei Pressevorführungen in Kinos, auf Filmpartys und nach Theaterpremieren. Meist war er im Schlepptau seiner Gattin Armgard Seegers, die als Kulturredakteurin beim „Hamburger Abendblatt“ arbeitet. Schon damals fiel mir auf, wie umgänglich und freundlich der Mann war, der eigentlich als einer der Grandseigneures der deutschen Literaturszene viel arroganter hätte sein müssen. Selbst die 22 Jahre als Kulturchef beim „Spiegel“ konnten ihn anscheinend nicht zum unausstehlichen Selbstverliebten mutieren.

Es gibt diesen einen Karasek-Moment in meinem Leben, den ich nie vergessen werde. Bei einem Udo-Jürgens-Konzert in der Hamburger Color-Line-Arena (die inzwischen Barclaycard-Arena heißt) saß der große Literaturkritiker neben mir. Die gesamte Zeit klatschte Karasek in die Hände, sang textsicher mit und schunkelte wie ein Wilder. Bei „Griechischer Wein“ hielt es ihn nicht mehr auf dem Stuhl. Er sprang auf und grölte den Refrain mit absoluter Inbrunst. Seine Ehefrau versuchte leicht beschämt, ihren Mann wieder einzufangen und zum Hinsitzen zu bewegen. Sie hatte keine Chance.

Karasek versprühte in diesem Moment so viel Lebenslust und Hingabe, wie man sie sonst nur selten zu Gesicht bekommt. Schon gar nicht von einem großen deutschen Nachkriegs-Intellektuellen oder Kulturkritiker. Dafür liebe ich ihn. Und so werde ich ihn immer in Erinnerung behalten.

In diesem Sinne: Hellmuth, der ist für dich.

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Denis

Redaktionsleiter bei NWZonline
Denis Krick (für immer 42) ist Rollenspieler, Comicleser, Serien- und Filmnerd, Gamer (wenn die Familie schläft) und wahrscheinlich Oldenburgs ältester Hiphopper. Am liebsten besucht er die Drehorte seiner Lieblingsserien & -filme auf der ganzen Welt.
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