Der letzte Schrei

Allein das Buch ging mehr als 30 Millionen Mal über den Ladentisch – und das in den ersten drei Monaten nach Erscheinen. Jetzt kommt „Fifty Shades of Grey“ ins Kino – und degradiert BDSM („Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“) erneut zum exotischen Klischee. Die Fans stört das nicht. Geht es ihnen doch vielmehr um die erotische Fantasie des Begehrens und begehrt werdens. Dass es dazu aber weitaus bessere Filme gibt, liegt in der Natur der Sache. Das Dienen und Delegieren hat schließlich eine lange Tradition.

Spätestens seit dem 19. Jahrhundert erzählen Romane immer wieder die Geschichte einer Frau, die die Liebe sucht und einen attraktiven, aber gleichzeitig düsteren – ja gar bedrohlichen – Mann trifft. Der Klassiker „Sturmhöhe“ von Emily Brontë ist dabei nur ein Beispiel.

Liebe, die weh tut, ist Material, das auch auf Breitbildformat wunderbar funktioniert. Hier eine kleine, unsortierte Auswahl jenseits des James’schen Schonwaschgangs:

 

1. Radikaler Klassiker: Im Reich der Sinne

Das wohl bekannteste Werk des japanischen Kultregisseurs Nagasi Oshimas handelt – kurz gesagt – von einer SM-Affäre zwischen einer Geisha und dem Ehemann ihrer Chefin. Lang gesagt geht es aber um viel mehr – um Besitz, um Bedingungslosigkeit und die endgültige Vereinigung. Der Film soll auf einem realen Ereignis aus dem Jahr 1936 basieren und löste bei seiner Aufführung auf der Berlinale 1977 einen Skandal aus. Die Filmbewertungsstelle zeichnete ihn dann aber mit dem Prädikat “besonders wertvoll” aus.

 

2. Kühle Glitzerwelt: Tokio Decadence

Schüchterne Studentin – kommt irgendwie bekannt vor – verdient sich als auf BDSM spezialisiertes Callgirl in der Tokioer Glitzerwelt ihren Lebensunterhalt. Grundmotiv ist aber die unerwiderte Liebe der Studentin zu einem verheirateten Kunden. Der Film von Ryū Murakami aus dem Jahr 1992 ist betont kunstvoll und ambitioniert – und will auch die Kälte des modernen Lebens aufzeigen.

 

3. Das Brautkleid-Finale: The Secretary

Liebesdrama, schwarze Komödie, cooler Soundtrack – ja, den Film muss man gesehen haben. Er erzählt von der Beziehung zwischen der Sekretärin Lee Holloway (Maggie Gyllenhaal) und ihrem Chef (James Spader) – und erhielt prompt auf dem Sundance Film Festival 2002 den Spezialpreis der Jury. (Leidens-) Höhepunkt ist sicherlich das tagelange, fast bewegungslose Warten von Holloway im Brautkleid auf einem Stuhl, bis sich ihr Rechtsanwalt endlich für eine Beziehung mit ihr entscheidet. Übrigens: Spaders Filmcharakter heißt auch „Grey“. Ein Schelm, wer über E. L. James nun Böses denkt.

 

4. Vollkommene Kontrolle: Martha

„Die Erziehung einer Ehefrau“, so könnte der Untertitel des Klassikers von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1974 lauten. Die Bibliothekarin Martha trifft auf den Geschäftsmann Helmut Salomon, heiratet ihn – und erfährt seine Dominanz. Ihr Dasein im goldenen Käfig endet letztlich im Rollstuhl – und somit in der vollkommenen Kontrolle durch ihren Mann. Ein typischer Fassbinder: Kontroversen auslösend, perfektionistisch, ästhetisch. Legendär: Die 360-Grad Kamerafahrt von Michael Ballhaus, der von Fassbinders Filmen „Martha“ am meisten liebt.

 

Wer sich tiefer mit dem Thema auseinandersetzen möchte, findet Wissenswertes auf der  Webseite der deutschen BDSM-Zeitschrift „Schlagzeilen“. Die Seite wird von dem Hamburger Autor Matthias Grimme verlegt.

 

Amina

Amina

Online-Redakteurin bei NWZonline
Amina Linke (Jahrgang '83) wäre gern Schlagzeugerin oder Motocrossfahrerin geworden. Balletttänzerin wäre auch ok gewesen. Jetzt schreibt sie. Mit Leidenschaft. Am liebsten über alles, was irgendwie widersprüchlich, skurril oder wenigstens anders ist. Passt doch.
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