M.I.A. schwingt den moralischen Zaunpfahl

Per Definition ist Pop eigentlich die harmloseste Musik unter der Sonne. Party, schöne Sachen und Liebe, was wäre Pop ohne Liebe oder vielmehr die schmalzige Version davon. Widersprüche, Konflike, Krieg oder Menschenrechte interessieren ihn zumeist nicht. Wie sollen solch unangenehme Themen auch in 3:40 Minuten passen?

Eine Minute mehr braucht M.I.A. zwar in ihrem Video zur neuen Single „Borders“, aber dieses musikalische Häppchen ist trotzem so voller Kraft, dass es beim Ansehen fast weh tut. Der moralische Zeigefinger wird zur Faust, die uns Schlag fü Schlag dazu nötigt, Stellung zu beziehen, Farbe zu bekennen – und sei es nur vor uns selbst.

Freedom
What’s up with that?
Your values
What’s up with that?
Your beliefs
What’s up with that?
Your families
What’s up with that?
History
What’s up with that?

Wie wichtig ist uns die Freiheit? Unsere eigene und die anderer? Was sind unsere Werte uns wert, unsere Moralvorstellungen? Gleichgültigkeit, die sich nach dem hundertfachen Ansehen von gekenterten Flüchtlingsbooten, rassistischer Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten und dem millionenfachen Leid in den Kriegsgebieten dieser Welt eingestellt hat, sie hat ausgedient. Vielleicht ist es gerade die Videoclip-Ästhetik von Menschen, die fein säuberlich aufgereiht an einem Grenzzaun stehen, in kleinen Nussschalen den Kräften den offenen Meerees ausgesetzt sind und dabei immer noch die Formation einhalten oder wie kleine Goldstückchen in Rettungsfolie gehüllt an einer dunklen, abweisenden Küstenlinie sitzen, die uns den Atem stocken lässt. Kein pixeliges Bild aus den wahren Krisengebieten, sondern eine Hochglanz-Produktion, die einen gänzlich anderen Blick auf den Schrecken erlaubt – durch die Brille des Pop.


 

Dass ein solches Video gerade von M.I.A. alias Mathangi Arulpragasam kommt, ist kein Wunder: In London geboren wanderte sie mit ihren Eltern bereits im Säuglingsalter wieder in deren Heimat Sri Lanka aus, wo ihr Vater Gründungsmitgleid einer militanten tamilischen Organisation wurde. Nach einigen Jahren kehrte sie mit ihrer Mutter zurück nach England, wo sie zunächst in einem Flüchtlingsheim lebten.


 

In ihren Songs und Videos nimmt M.I.A. auch sonst kein Blatt vor den Mund, ob es nun um Kindersoldaten, die Verfolgung von Minderheiten und staatliche Repression oder Sexismus geht. Sie nutzt ihre Bekanntheit, um solche Dinge anzusprechen. Oder vielmehr, um zu fragen.

 

Borders
What’s up with that?
Politics
What’s up with that?
Police shots
What’s up with that?
Identities
What’s up with that?
Your privilege
What’s up with that?

Ihre eigene Botschaft ist klar:

We’re solid and we don’t need to kick them

Jetzt muss nur noch jeder Hörer selbst Stellung beziehen. Und sei es nur, um sich vor sich selbst zu rechtfertigen.

 

 

Björn

Björn

Serienaficionado, Gamefanatic, Musiknerd und bekennendes Web 2.0-Opfer mit einer besonderen Vorliebe für jedweden Schwachsinn, den das Netz zu bieten hat.
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