Warum ich Rambo liebe

Screenshot: YouTube

Nervus facialis. Bei seiner Geburt 1946 wurden bestimmte Nerven im Gehirn verletzt. Deshalb der  ernste, traurige Ausdruck im Gesicht. Immer gleich, immer faszinierend.

Links unten sind Teile dieses Gesichts gelähmt, auch der Lippen, auch des Kinns. Früher hat man Sylvester „Sly“ Gardenzio Stallone dafür gehänselt. Das traut sich heute keiner mehr. Wir wissen warum. Vor ein paar Tagen konnte man diesen entschlossenen Gesichtsausdruck wieder im Fernsehen bewundern – die „Rambo“-Filme wurden wiederholt. Endlich! Großes Kino! Kulturell wertvoll! Bis heute. Bitte keinen Widerspruch.

Trotzdem: bis heute wird an „Rambo“ gemäkelt.  Besser: an der gesamten „Rambo“-Reihe. Doch eigentlich gibt es nur einen einzigen richtigen „Rambo“-Film. Nämlich den allerersten, gedreht 1982 in den USA.

Der Original-Trailer zu „Rambo“ (Original: „First Blood“)

Im Februar 1983 sah ich ihn das erste Mal, den damals schon heftig angefeindeten Spielfilm „Rambo“. Ich wusste damals noch nicht, dass er im Original „First Blood“ hieß.

Im Kopf hatte ich alle Vorurteile sauber gebündelt auf den Kinosessel in Tübingen mitgenommen. Dazu gehörte, dass der Film widerlich die Brutalität feiert. Dass er die Selbstjustiz toll findet. Dass er das amerikanische Kämpfertum patriotisch in den Himmel lobt. Dass er primitive Helden wie Sylvester Stallone zeigt.

Typen, die 180 Volt in den dicken Muskelarmen haben, aber oben im Kopf brennt die Birne nicht. Jawohl, so stellte man sich die dumpfe Welt der billigsten Actionfilme vor, Law-and-Order-Quatsch, allenfalls. Warum ging man trotzdem in den Kinofilm? Natürlich zur Weiterbildung und zur Abschreckung. Man musste ja mitreden können.

Noch im Kino kamen die Zweifel. Offenbar setzte etwas Selbstdenken ein, was ja nie schadet. Rambo ist ein armer, friedlicher Kerl. Nein, der Muskelmann haute nicht dumpf zu. Der amerikanische Veteran  wollte seine Ruhe, mehr nicht. Der fiese Polizeichef der Kleinstadt quält den Vietnamheimkehrer, das ganze Provinzkaff fällt über John Rambo her, er wehrt sich nur.

Interviews mit den Schauspielern von „Rambo“

Und dabei macht er das, was er am besten kann: Er kämpft erfolgreich. Der Film zeigt nachvollziehbar, warum der Einzelkämpfer in seinen persönlichen Krieg gegen eine Gesellschaft zieht, die keine Gesellschaft anbietet, die ihn brutal ausstoßen möchte. Das geschieht mit – zugegeben – Explosionen, Stürzen, Nahkämpfen und allem, was zum perfekten Actionstreifen gehört. Aber das dumpfe Doofe, was viele dem Spielfilm sofort andichteten, ließ sich nicht entdecken. Und die Gewalt geht nicht von Rambo aus, sondern immer von den anderen. Künftig konnte ich die Vorurteile  über den Film nicht nachvollziehen. Ein fragwürdiges Machwerk? Die meisten lachen, wenn ich mit ihnen über „Rambo“, über die vorzüglichen Nachtszenen, die Dokumentation der Angst auf beiden Seiten im Film, über die handwerkliche Perfektion, die brillante Regie diskutieren will:  Du guckst solchen Schrott?

Viele Jahre später habe ich mir „Rambo“ auf Video ausgeliehen. Ja, damals gab es noch Videokassetten. Da waren schon ein paar Filmfortsetzungen erschienen, bis heute sind es drei –  alle Schrott, alle billiger Abklatsch, Metzeleien simpelster Art, bis auf den ersten Film der Reihe. Den hat Ted Kotcheff gedreht. Und zwar nur den.

„Rambo I“ ist großes Kino nach einem großen Roman  von David Morrell. Und wird es bleiben.  Am 6. Juli 2015 wird Stallone 69. Man sollte mal wieder „Rambo“ gucken. Aber bitte nur Teil eins.

Das ursprüngliche Ende von „Rambo“ fiel in Testvorführungen durch – es war dem Publikum einfach zu depressiv.

 

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