The Sound of George Armitage

Einige der feinsten Genrefilme der letzten 40 Jahre soll George Armitage (Foto: Filmfest Oldenburg) gedreht haben. Diese Ansage aus einem Beitrag auf filmcomment nehmen die Organisatoren des Oldenburger Filmfests natürlich gern auf, um dem 1942 geborenen Regisseur der diesjährigen Retrospektive zu huldigen. Doch was bedeuten diese Filme wirklich? Wir haben uns mit dem Filmemacher unterhalten und einige seiner Werke genau unter die Lupe genommen.

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Jennifer Jason Leigh, Alec Baldwin
Miami Blues: Jennifer Jason Leigh, Alec Baldwin. Foto: Filmfest Oldenburg

 

Wer George Armitage verstehen will, muss etwas Musik im Blut haben. Nicht irgendeine. Rock ’n‘ Roll brach sich die Bahn, als Armitage im Alter von 13 aus der bildungsbürgerlichen Bastion Neuenglands in den Schmelztigel Kaliforniens zog. Ein Kulturschock, der tief in seine spätere Karriere wirkte. „Gas-s-s-s“ hieß 1971 der Kinofilm, in dem er für B-Film-Legende Roger Corman das Drehbuch schrieb und als Schauspieler vor der Kamera stand. Als Motto der Geschichte hatten die beiden eine schlichte Ansage vereinbart: „Jeder über 30 muss sterben.“

Ich komme aus Connecticut an der Westküste. Dort gabe es keine Hot Rods, keine Teenager. Nur rich kids in MGs. Dann zog ich 1956 nach Kalifornien – und es war, als wäre ich vom Mond gefallen. Jedes kid hatte ein Auto und schraubte daran in der eigenen Garage. Manche waren exzellente Mechaniker – ich nicht so sehr. Einige waren so nett, mir ihren Wagen für Rennen zu leihen. Sie sagten nur: Sei bloß vorsichtig und mach‘ nichts kaputt! Natürlich machte ich was kaputt.

Die ganze Kultur war unheimlich spannend. Es gab Drive-Ins, du weißt schon, wo sie einem fast food rausbringen und man zusammen isst. Dort trafen wir uns und zogen bis in die Nacht herum. Bis irgendjemand fragte: Hey, weiß jemand, wo man hier ein Rennen fahren kann?

Wir fuhren dann zu einem Platz, der School House hieß, ziemlich nah am Flughafen von Los Angeles. Dort gibt es einen Freeway und eine Brücke, über der die Schüler die Straße passieren. Dort fuhren wir unsere Rennen. Einige blockten den Verkehr, und von der Brücke aus konnten wir sehen, wer als erster durchs Ziel kam.

Es war ein bisschen aufsässig, aber es wurde niemand verletzt. Es war ein großer Spaß. Auf dieser Kultur basiert „Hot Rod“.

Review: Hot Rod (1979)

Ein Mann, ein Auto, ein Saxophon, viel mehr braucht es für den Helden dieses kleinen Kultfilms nicht. Die Frau findet sich, als Brian sich für ein Speed-Rennen in einer Kleinstadt anmeldet. Dort schwingt der reiche T. L. Munn das Zepter, Sohnemann Sonny gewinnt natürlich jedes Rennen. Dessen Freundin schließt sich bald dem blonden Brian an, der sich gegen die Drangsalierungen korrupter Dorfpolizisten fürs Rennen rüstet. Mit einem alten Hot Rod will der smarte Außenseiter die Macht der Munns brechen.

Ein Film, komplett im Takt des Rock ’n‘ Roll. Die Songs der Ära begleiten diesen liebevoll fürs Fernsehen produzierten PS-Film, ein Radio-DJ sorgt als Nebenfigur für die richtige Ansprache. Der Held trägt seinen roten Blouson mit der Lässigkeit James Deans.

Kleiner Lieblingsfilm!

Zu sehen beim Filmfest
Cine K am Freitag, 18. September 2015, ab 21:30 Uhr

George Armitage wird immer wieder auf diese Kultur Kaliforniens zurückkommen. Zu der gehörten übrigens auch Autokinos, in denen er die Filme seines späteren Mentors Roger Corman lieben lernte. Denn nicht nur die Jahre des Rock ’n‘ Roll waren wild. In Hollywood ging es auch turbulent zu, als das alte Studiosystem nach Kostenexplosionen bei Filmen wie „Cleopatra“ Mitte der 1960er Jahre zusammenzubrechen drohte. George Armitage war mittendrin.

Ich war bei 20th Century Fox angestellt, als das passierte. Es war eine erstaunliche Zeit des Übergangs. Großartige Produzenten arbeiteten dort, als „Cleopatra“ das ganze Geld aus dem Studio zog. Es war das Fernsehen, das die Studios dann gerettet hat. Roger Corman war damals auch bei Fox, er hat „The St. Valentine’s Day Massacre“ dort gedreht.

Dann produzierte ich die Serie Peyton Place, mit 22 Jahren! Die anderen, die beim Fernsehen arbeiteten, waren auch ziemlich jung, allerdings so um die 30. Diese Jungs standen auf Jazz, was ja okay ist. Ziemlich coole Typen, sehr smart in ihren Anzügen. Das Entscheidende aber war: Sie wussten nichts vom Rock ’n‘ Roll und meiner Generation. Und nun kam ich daher, mit 22 Jahren, schrieb, produzierte – und sagte ihnen, was sie zu tun haben. Ich hatte also einen schwierigen Stand.

Aber es war unheimlich spannend. Wir hatten Ryan O’Neill, Mia Farrow und noch einige andere junge Talente, die später zu Stars wurde. Frank Sinatra hat zu dieser Zeit Mia Farrow gedatet. Er drehte gerade „Von Ryan’s Express“ für Fox und kam vorbei. Zu Weihnachten schenkte er jedem eine Flasche Jack Daniels. Wir liebten ihn! Einmal war Mia nicht da, als er kam. Ich telefonierte sofort rum, um sie zu finden. Hey, es war Frank Sinatra! Aber sie war nicht aufzutreiben.

Fünf Jahre später drehte ich einen Film mit dem Titel „Hit Man“, und Frank kam wieder am Set vorbei. Er hatte irgend so ein tolles Auto, ein cooler Bursche. Und er rief: „Hey, hast du Mia inzwischen gefunden?“ Nein, ich suche noch, sagte ich.

Review: Hit Man (1972)

Bordeaux-Rot kleidet sich dieser Killer, verschmäht auch einen breiten Hut nicht, schräg getragen über den grau schimmernden Afrolocken. Tyrone ist zurückgekehrt in seine Heimatstadt, weil er seinen Bruder Cornell zu Grabe tragen muss. Dass dieser im Alkoholrausch ertrunken sein soll, macht Tyrone stutzig. Er bleibt  in der Stadt, hält Augen und Ohren offen. Die Drohungen eines Schlägerduos deuten an: Hier ist etwas faul.

Krasser hätte Regisseur George Armitage den Helden seines Films nicht von Michael Caine abheben können, der nur ein Jahr zuvor die Rolle des Killers in der längst klassischen Roman-Verfilmung „Get Carter“ übernommen hatte. Dessen eisiger Präsenz setzt der ehemalige Profi-Footballer Bernie Casey eine starke Physis entgegen – und durchaus auch sensible Momente.

Vor allem bewahrt Armitage im nicht eben zimperlichen Blaxploitation-Genre Geschmack und Stil: Gewalt- wie Sexszenen sind weder verschämt noch brutal oder vulgär. Fans des 70er-Jahre-Thrillers sehen also einen harten, aber nie billigen Film mit überzeugenden Darstellern und einem furiosen Finale.

Zu sehen beim Filmfest
Cine K am Sonntag, 20. September, ab 16:30 Uhr

 

 

Auch wer „Hit Man“ nicht kennt, dürfte bei der Geschichte aufhorchen. Sie basiert auf Ted Lewis‘ Roman „Jack’s Return Home“, der nur ein Jahr zuvor unter dem Titel „Get Carter“ mit Michael Cane verfilmt wurde. Eigentlich ist es ein Irrsinn, sich mit diesem Klassiker anzulegen. Doch Armitage will von der ersten Verfilmung damals nichts gewusst haben. Er habe sie bis heute nie gesehen, sagt er, weil ihm vorgeworfen wurde, daraus kopiert zu haben. Lieber erzählt George Armitage eine andere Geschichte als Hintergrund zu „Hit Man“, die er als Teenager in Kalifornien erlebt hat.

Als ich in Kalifornien aufwuchs, zwischen all den Hot Rods, besuchte ich eine Jesuitenschule. Aber ich wurde rausgeworfen, weil ich mich über die muffigen Uniformen lustig gemacht habe, die wir dort tragen mussten. Ich war nicht böse oder gemein, ich habe sie nur ein bisschen hochgenommen. Aber sie fanden das gar nicht lustig und warfen mich raus. Also wechselte ich auf eine Schule in der Nachbarschaft, die Dorsey High School, wo es alle Kulturen gab.

Zum Mittagessen schlichen wir uns oft raus zu einem Drive-In. Doch einmal, als wir zurückkamen, war das Tor geschlossen. Also beschloss ich, durch den Haupteingang hineinzuspazieren. Doch da stand der zweite Schuldirektor, es war ein Ex-Marine, glaube ich, und rannte mir hinterher. Das Gelände war durch Zäune dreigeteilt, es gab ein Drittel für Weiße, eines für Schwarze und eines für asiatische Schüler. Als ich also vor dem Direktor flüchtete, schwang ich mich über den Zaun ins schwarze Drittel.

Ich war der erste weiße Kerl, der das getan hat! Die Stimmung ist explodiert! Die anderen haben mich vor dem Direktor versteckt, einer gab mir sogar seine rote Jacke, in der ich mich versteckt habe. Und zusammen buxierten sie mich durch die Menge da raus. Ohne diese Erfahrungen in Kalifornien hätte ich „Hit Man“ nicht drehen können, ich hätte mich nicht wohl dabei gefühlt. In Connecticut hätte ich diese Erfahrungen nie gemacht.

Ein anderes Kaliber ist „Vigilante Force“.

Review: Vigilante Force (1976)

Ein Western, verlegt in eine ölberauschte Kleinstadt der 1970er Jahre: Die Goldgräberstimmung lockt allerlei Gesindel in das sonst friedliche Nest, die behäbige Dorfpolizei kommt nicht hinterher. Was also liegt näher, als einen echten Kriegshelden  und Outlaw zu engagieren, der für Ordnung sorgt? Im klassischen Western funktioniert das meist gut.

Autor und Regisseur Armitage sprengt diesen Genrerahmen mit so vielen Anspielungen auf die amerikanische Geschichte, dass einem schwindelig wird. Im Jahr der 200-Jahr-Feiern zur Erklärung der Unabhängigkeit tritt er der paradegelaunten Öffentlichkeit mächtig vors Schienbein: Sein Outlaw lässt den Vietnamkrieg in der Kleinstadt ausbrechen, bis alles in Flammen steht.

Der Darsteller des Kriegspsychopathen ist dabei wohl gewählt: Kris Kristofferson, der nicht nur als Countrymusiker der „Outlaw“-Bewegung vorstand, sondern auch in Filmen wie „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ oder „Convoy“ den klassischen Outlaw für die wahre Gerechtigkeit verkörpert, ist als Bösewicht gegen sein Image besetzt.  So wird die Western- und Outlaw-Thematik subtil gegen den Strich gebürstet.

Wer soweit nicht mitdenken möchte, wird trotzdem seine Freude an dem harten, schmissig inszenierten Thriller haben.

Zu sehen beim Filmfest
Cine K am Samstag, 19. September 2015, ab 21:30 Uhr

 

George Armitage hatte sich nach „Vigilante Force“ (1976) und „Hot Rod“ (1979) für mehr als zehn Jahre aus dem Filmgeschäft zurückgezogen. Dennoch betont er, dass es eine Linie von „Vigilante Force“, „Miami Blues“ und „Grosse Pointe Blank“ gebe.

Die Hauptfiguren sind allesamt Soziopathen. Alec Baldwin spielt ja ganz offensichtlich einen Bösewicht, und wenn jemand in diesem Film es verdient zu sterben, dann er! Doch beim Dreh gab es geradezu Tumulte, weil die Leute ihn so geliebt haben. Tja, man durchschaut sie eben nicht: Sie sind smart, sie sind höflich, sie sind Chefs von Filmstudios…

Doch eines muss ich zu „Miami Blues“ noch sagen. Das Herz und die Seele dieses Films ist ohne Zweifel Jennifer Jason Leigh. Manche sagen ja, dass ihre Figur Susie etwas zurückgeblieben ist. Das macht mich wirklich wütend. Susie kommt vom Land, sie ist naiv, ein sehr lieber Charakter. Und Jennifer spielt sie so großartig. Was für eine brillante Schauspielerin. Und was für eine wundervolle Person.

Review: Miami Blues (1990)

Bestimmt will Junior, smarter Psychopath auf Reisen, den friedlichen Sektenwerber am Flughafen nicht gleich töten, als er ihm im Vorbeigehen den Finger bricht. Doch der Erleuchtete stirbt – und bringt die Polizei auf seine Spur. Sergeant Hoke Mosley glaubt, endlich einen lang gesuchten Killer gefunden zu haben. Junior lernt unterdessen die süße Prostituierte Susie kennen. Die beiden flackernden Charaktere bilden fortan ein tragisches Paar, dem sich Mosley an die Fersen hängt.

Die von Zufällen vorangetriebene Geschichte lässt sich kaum an einem Strang erzählen. Wie die sorgfältig ins Bild gesetzte Umgebung Miamis bildet sie ein Tableau für die Charaktere. Und die sind einzigartig: Jennifer Jason Leigh ist herzzerreißend als Susie, die ausgerechnet in Junior nichts weiter als einen guten Kerl sieht. Psychopath Alec Baldwin und Schmuddel-Cop Fred Ward zirkeln wie Trabanten um diese schöne Seele. George Armitage inszeniert den Reigen durch elegant geschnittene Dialoge mit großer Leichtigkeit. Die brutalen Ausbrüche Juniors treten deshalb umso tragischer hervor.

Definitiv einer der schönsten Filme der 1990er.

Zu sehen beim Filmfest
theater hof/19 am Freitag, 18. September 2015, ab 16:30 Uhr

 

Review: Grosse Pointe Blank (1997)

Eigentlich mag Martin Blank seinen Job. Als Profikiller verdient er gutes Geld, seine Sekretärin ordnet die Termine und hält ihm den Rücken frei. Mit einem Killerkollegen, der ihn unbedingt in eine Organisation zwingen will, wird er schon fertig. Dann flattert eine Einladung zum Treffen seines Highschool-Jahrgangs ins Haus. Was tun? Seine Sekretärin und sein Psychiater wider Willen raten ihm hinzufahren. „Töten Sie ein paar Tage niemanden“, rät ihm der Seelsorger. Diesen Rat wird Martin allerdings nicht befolgen.

„Grosse Pointe Blank“ ist vielleicht George Armitages lustigster Film. John Cusack spielt den Killer mit einer eleganten Schluffigkeit, die sich wunderbar an den Spießbürgern seiner Heimatstadt bricht. Dan Aykroyd kaspert als Killerkonkurrent souverän am Rande, bleibt aber ganz Genrefigur.

Stärker gezeichnet ist die Beziehung zwischen Martin und seiner Highschool-Liebe. Wie in „Miami Blues“ geht es um die Frage, ob sich der smarte Soziopath wieder in ein normales Leben pressen lässt. Vergleichbar tief geschürft wird allerdings nicht.

Es sind am Ende der schwarze Humor und liebevolle Details, die „Grosse Pointe Blank“ als echten Armitage-Film ausweisen. Allein die Einrichtung des Killerbüros ist so schön beiläufig schräg, dass der Film auch beim x-ten Anschauen noch Spaß macht.

Und natürlich ist da der Rock ’n‘ Roll: Für die Musik half Clash-Frontmann Joe Strummer.

Zu sehen beim Filmfest:
Exerzierhalle am Donnerstag, 17. September, ab 21:30 Uhr

 

The Sound of George Armitage

War es zu viel versprochen, George Armitage als Regisseur herausragender Genrefilme zu preisen? Zumindest ist das Lob etwas schief. Denn Armitage kennt zwar die Spielarten von Actionfilm, Western, Blaxploitation, Romantic Comedy und Komödie, doch sucht er immer auch den Bruch am Rande der Genres. Das beste Beispiel dafür ist „Vigilante Force“, der den Western kunstgerecht in eine flammende Groteske umdeutet.

Aber selbst in „Grosse Pointe Blank“, seinem vielleicht gewöhnlichsten Film, sind diese feinen Brüche eingearbeitet. Wenige Szenen brutaler Gewalt genügen, um den Rahmen der Romantic Comedy zu sprengen.

Was die Filme George Armitages wirklich als Werk eines Autors hervortreten lassen, ist dieser Stil. Die beim Fernsehen und beim Schnellfilmer Roger Corman erlernte Routine schlägt sich in einer Filmsprache nieder, die stets leicht mit den unterschiedlichsten Versatzstücken jongliert. Hier wirkt kein Stilmittel grob oder bloß plakativ. Schnitt, Musik und Dialoge schaffen einen charakteristischen Fluss, den man „Armitage-Touch“ nennen könnte. Bei der Musikalität der Filme ist „Sound“ vielleicht das bessere Wort. George Armitage hätte dafür wahrscheinlich nur einen Begriff: Rock ’n‘ Roll!

 

Timo

Timo Ebbers (37) glaubt nicht an ein Leben nach Hollywood und könnte sich durchaus vorstellen, ein Zimmerchen im Edith-Ruß-Haus für Medienkust zu bewohnen.