„Takeshis Haut“: Wenn die Erde bebt, dann nicht nur einmal

LCover_Fricke_Takeshis Hautucy Frickes neuer Roman müsste eigentlich ein Hörspiel sein. Wir würden das Hüftknacken der Hauptfigur hören. Wir würden das Brechen von Knochen, das Zersägen von Körpern hören. Wir würden erfahren, wie Japan klingt, falls wir es nicht schon wissen. Immer aber wäre da ein bedrohliches Rauschen im Hintergrund – bis die Erde bebt.

Wäre es nach Frida gegangen, würden alle Geräte und Ansagen an Bahnhöfen und Flughäfen klingen wie Hildegard Knef in ihre Sechzigern, das wäre eine Welt, in der sie sich geborgen fühlen würde.

Frida, die Protagonistin in „Takeshis Haut“, ist Geräuschemacherin, eine der besten, die es gibt. Darum meldet sich der junge Regisseur Jonas bei ihr. Er will, dass Frida seinen Film rettet. Die Tonspur ist ihm auf unerklärliche Weise abhanden gekommen. Frida soll an die Drehorte in Japan reisen und die Geräusche rekonstruieren.

Warum schrieb Lucy Fricke ausgerechnet über eine Geräuschemacherin? Warum über Japan? Das erklärt die Autorin in einem Video des Goethe-Instituts:

Schon in Jonas‘ Stimme hört Frida etwas Brüchiges, „als wäre er noch nicht ganz aus einem Albtraum erwacht“. Eine leise Vorahnung erklingt in ihren sensiblen Ohren. Trotzdem nimmt Frida, gerne auch für die Vertonung von Horror- und Kriegsfilmen gebucht, den Auftrag an. In Japan gerät nicht nur die Erde, sondern auch ihr Leben ins Wanken:

Das Land wird von einem Beben erschüttert, es folgt der Tsunami, die Atomkatastrophe.

Frida verliebt sich – in den lautlosen, jungen Takeshi. Das stellt ihre langjährige Beziehung zu Robert infrage.

Das Buch handelt von einer Reise nach Japan, ist aber kein Reiseroman. Es handelt von einer der größten Katastrophen der Geschichte, erzählt vom Super-Gau, der Angst, dem Tod, aber nur aus der Ferne. Wer bei „Takeshis Haut“ einen „historischen“ Fukushima-Roman erwartet, wird enttäuscht. Frida bekommt die Katastrophe nur indirekt durch Fernsehberichte und Takeshis Nachrichten auf dem Weg ins Katastrophengebiet mit. Von Sorgen will sie in den Telefongesprächen mit Freund Robert zunächst nichts wissen.

„Takeshis Haut“ ist ein gutes Buch. Die Frage ist nur: Für wen?

Mit wenigen Worten, großartigem Sarkasmus und wunderbar-bitterem Humor erlebt Frida mehrere – äußere und innere – Katastrophen. Das Buch ist ein Roman für Leute, bei denen nicht immer alles glatt läuft. Denen das Leben, die Liebe gelegentlich um die Ohren fliegt. Leute, die sich mit einer schicksalshaften Sicherheit dorthin begeben, wo es bebt. In deren Leben sich mit einer zuverlässigen Regelmäßigkeit alle paar Jahre ein Super-Gau ereignet. Sie ahnen es, sie wissen fast, dass es passieren wird, aber sie kommen nicht drumherum. Sie müssen da durch. Und wenn es knallt, dann richtig:

War man erst mal verloren, ging ja meistens noch eine Menge, nicht selten ging es dann überhaupt erst richtig los.

Diese Menschen mit apokalyptischer Erfahrung werden Frida lieben, ihren Sarkasmus feiern und ein weiteres Mal auf tragikomische Weise in überraschenden Roman-Wendungen erfahren: Jedes Beben hat ein Nachbeben. Wenn man glaubt, auf der sicheren Seite zu sein, ergänzt eine weitere Überraschung das perfekte Chaos. Oft ist es eine böse.

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Lucy Fricke (*1974 in Hamburg)

  • 2005: Gewinnerin des Berliner „Open Mike“
  • 2007: Debütroman „Durst ist schlimmer als Heimweh“
  • 2010: Roman „Ich habe Freunde mitgebracht“

Nur wenige Wochen nach der Katastrophe von Fukushima trat Lucy Fricke ein Stipendium des Goethe-Instituts in Kyoto an. Dort begann sie im Schatten der schrecklichen Ereignisse mit dem Schreiben von „Takeshis Haut“.

Lucy Fricke: Takeshis Haut. Rowohlt 2014. Lakonische 192 Seiten. Hardcover: 18,95 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

Inga Wolter

Tagsüber immer für eine gute Geschichte zu haben. Nachts als Lois Lane im Einsatz, heißt es aus vertrauenswürdigen Quellen.