Return of the Schulhofangeber

Wer zu Zeiten meiner Kindheit bei uns im Dorf richtig auf dicke Hose machen wollte, der hatte eigentlich nur drei Möglichkeiten: Das neueste Hasselhoff-Album als Original-MC. Die komplette WWF- oder WCW-Kaugummiaufklebersammlung. Oder den (ich weiß, ich weiß, eigentlich das) NES. Ich weiß nicht mehr, wie viele Kilometer ich im Laufe der Jahre bei den Fahrradfahrten zu meinem Klassenkameraden im Nachbardorf abgespult habe, damit wir die Nachmittage („Hausaufgaben hab ich schon in der Schule gemacht“) auch bei schönstem Sonnenschein vor der winzigen Röhrenglotze im Wohnzimmer seiner Eltern verschwenden konnten. Eigentlich mochte ich ihn nicht, weil er ein Angeber war (wegen Hasselhoff-MC, Kaugummibildersammlung und NES). Aber das tut hier nichts zu Sache. Und auch wenn ich persönlich nie so der Mario-Fan war, das Ding war einfach das geilste, was wir uns damals vorstellen konnten, denn es hatte ja außerdem noch Zelda, Bionic Commando, Punch-out!! und Metroid. Ich unternahm sogar einige, allerdings relativ schnell aus Gründen der Aussichtslosigkeit abgebrochene, Versuche, mein Taschengeld für die Wunderkiste anzusparen. Aber da kamen zu oft die anderen beiden Dicke-Hose-Sachen dazwischen.

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Jetzt, knapp 25 jahre später, bringt Analogue Interactive aus Seattle das AnalogueNT auf den Markt, und damit all diese schönen Erinnerungen zurück. Für 530 Dollar ist die aus einem soliden Block Aluminium 6061 gefräste Edelvariante zwar immer noch nicht sonderlich billig, dafür aber außerordentlich schick. Wirklich feuchte Hände und Augen bekommen Nostalgiker allerdings erst beim Innenleben. Denn in der Neuauflage schlägt das gleiche „Herz“ wie damals im originalen NES: die Ricoh 20A3 (CPU) und Ricoh 2C02 (PPU). Darauf legt man auch in Seattle großen Wert, denn das NT soll nicht etwa das alte NES emulieren, sondern genau den gleichen Charme versprühen, der mich Ende der 80er an die Glotze gefesselt hat. Damit laufen auf auf dem NT die Originalspiele, auch wenn das in den USA und Japan verwendete NTSC-Verfahren bei einzelnen Spielen zu Kompatibilitätsproblemen führen kann. Und sie bekommen endlich den richtigen, und damit meine ich den großen, Rahmen: Denn endlich kommen die Klassiker auch auf großen HD-Bildschirmen richtig zur Geltung. Alternativ kann man aber immer noch die alte Röhre anklemmen und den richtigen Kanal suchen.

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Wer jetzt meint, mehr als 500 Schleifen seien für eine technisch eigentlich veraltete Spielekonsole, mit der man weder Netflix streamen oder im Internet surfen kann, schon ein reichlich unverschämter Preis, der kann sich wahrscheinlich auch nicht an der analogen Schönheit von Musik auf Schallplatten erfreuen, deren Absatz gerade trotz Spotify und Co. aber sowas von rasant steigt. Das Ding ist halt etwas für Liebhaber, denn nur ein Blick in die einschlägigen Wiederverkaufsplattformen zeigt, dass auch für die Spiele heute stattliche Preise aufgerufen werden. Wobei mir einfällt: Ich sollte mal wieder meinen alten Schulfreund besuchen. Den Angeber.

Björn

Björn

Serienaficionado, Gamefanatic, Musiknerd und bekennendes Web 2.0-Opfer mit einer besonderen Vorliebe für jedweden Schwachsinn, den das Netz zu bieten hat.
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