Raffiniert bewegte und bewegende Bilder: Kurzfilme

„Jedem Anfang Kurzfilm wohnt ein Zauber inne.“

Hermann Hesse hat es gewusst. Sein von mir minimal abgewandeltes Zitat gibt treffend meine Begeisterung für Kurzfilme wieder.

Natürlich ist nicht jeder Kurzfilm gleich ein Meisterwerk per se, klar. Aber die künstlerischen Möglichkeiten, die in wenigen Minuten auf dem Bildschirm oder der Leinwand Stimmungen transportieren können, sind bei einem Kurzfilm einfach nahezu zauberhaft.

Das Wort „künstlerisch“ legt den Grundstein für das bessere Verständnis für das, was hier nun folgt: Denn wer unter einem Kurzfilm lediglich einen „kurzen Film“, also etwa eine US-amerikanische 08/15-Liebeskomödie in ultrakurzer Version erwartet – liegt völlig falsch.

Es geht um viel mehr. Anhand meiner vier Lieblingskurzfilme, die es hier zu sehen gibt, will ich das erläutern.

The Ten Steps

Mein absoluter Lieblings-Kurzfilm ist „The Ten Steps“ von Brendan Muldowney aus dem Jahr 2004. Eine Kategorisierung in das Genre „Thriller“ oder „Horror“ würde zu kurz greifen. Dennoch bescheren mir die rund zehn Minuten dieses Kurzfilms jedesmal eine unheimliche Atmosphäre.

Er schafft es, wofür ich gute Kurzfilme so schätze: In hoch konzentrierter Form binnen seiner kurzen Laufzeit eine intensive, wie auch immer geartete Atmosphäre zu schaffen. In diesem Fall also mit Hilfe von (wenig) Licht, Geräuschen, wenig Worten, dem gesamten Setting. Doch das absolute Highlight an „The Ten Steps“ ist natürlich das Ende, das für einen Langfilm völlig undenkbar wäre.

Überhaupt geht es in einem Kurzfilm viel mehr um die einzelnen Bilder an sich als in einem Langfilm. Der Kurzfilm ist eine eigenständige Kunstform. Eine schöne Beschreibung gibt es hierfür auf den Seiten des Kurzfilm Festivals Hamburg:

„Der Kurzfilm ist die offenste, experimentellste, schnellste, mutigste, abstrakteste, härteste, diskursivste, reaktivste Filmkunstform. Dabei muss er zugleich ungeheuer diszipliniert sein. Seine Kunst ist die Festlegung. Unter Umständen auf das eine Bild, die eine Einstellung, die eine Fahrt, den einen Dialog. Er hat keine Zeit. Er hat nur diese eine Chance. Man verzeiht ihm nichts. Er ist das Medium für die künstlerische Selbsterkundung, für die Suche nach der vorläufig absoluten Form, für die Unverschämtheit, für das Grenzwertige.“

Wer Kurzfilme und ihren Interpretationsspielraum nicht gewöhnt ist, ist häufig zunächst ratlos (und irritiert ob meiner Begeisterung). Das Gesehene hinterlässt bei ihnen ein Gefühl von „Hää?“.

Knospen wollen explodieren

Ein sehr großes „Häää?!“-Potenzial bergen für Neulinge speziell Kurzfilme, die sich aufs Absurde verstehen, wie zum Beispiel „Knospen wollen explodieren“ aus dem Jahr 2005 von Petra Schröder (Achtung, es wird jetzt bunt und schräg im doppelten Sinn). Übrigens: Hier spielen immerhin Schauspielgrößen wie Boris Aljinović sowie Jytte-Merle Böhrnsen mit.

Einen Trailer des zwanzigminütigen Films gibt es hier.

Der gezeigte Ausschnitt ist leider recht langweilig gewählt, dafür ist die Bildqualität besser als auf der Seite Netzkino, wo der gesamte Film zu sehen ist.

Fool’s Day

Noch knallbunter ist der vergnügt daherkommende „Fool’s Day“ aus dem Jahr 2013 von Cody Blue Snider. Es geht um Grundschüler, die ihrer beliebten Klassenlehrerin einen Aprilscherz bereiten wollen – was könnte harmloser sein. Im Netz habe ich lediglich einen Trailer zu dem Film entdeckt, nicht die ganze Version. Der Überraschungseffekt kommt da natürlich nicht ganz so gut rüber.

Two & Two

Auch politische oder philosophische Aussagen sind mit einem Kurzfilm eindrucksvoll möglich. Erst vor kurzem entdeckte ich im Netz zum Beispiel „Two & Two“ aus dem Jahr 2011 von Babak Anvari – vom ersten Augenblick an fesselte mich das Gesehene.

Dem Zuschauer ist freigestellt, wie er den Interpretationsspielraum nutzen möchte. Soll die Schule ein Land mit Diktatur repräsentieren? Geht es darum, zu seinen eigenen Überzeugungen zu stehen? Oder darum, ein Pokerface aufzusetzen, wenn Lebensgefahr droht?

Interessant an diesem Kurzfilm ist auch der Einsatz von Gestik, ähnlich wie im Theater: Die drei „Top-Studenten“ setzen unsichtbare Waffen an, als der Schüler an der Tafel zu einer Antwort aufgefordert wird. Dazu erklingt das entsprechende Klick-Geräusch. Doch auch, als sie den Schüler erschießen, sind immer noch keine Waffen zu sehen. Vorstellungskraft und Fantasie werden zum gestalterischen Mittel dieses Kurzfilms.

Neben dem bereits erwähnten Kurzfilm Festival in Hamburg, das in diesem Jahr vom 3. bis 9. Juni stattfindet, gibt es auch in Oldenburg jedes Jahr etwas zu sehen: zum Beispiel bei den Kurzfilmtagen Zwergwerk im November. Auch beim Filmfest Oldenburg, das 2014 vom 10. bis 14. September stattfinden wird, steht in der Regel eine Veranstaltung mit erlesenen Kurzfilmen auf dem Programm. Die gesamte Kurzfilmszene Deutschlands kann man hier im Überblick sehen.

Jantje

Jantje

Online-Redakteurin bei NWZonline
Jantje Ziegeler (Jahrgang '85) ist im Herzen zwar eine Prinzessin, findet ihren Job als Journalistin aber auch allererste Sahne.
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