Kann Amazon auch großes Fernsehen?

Die Amazon Pilot-Season ist zu Ende. Und damit die beste, hoffentlich auch weiterhin jährliche, Möglichkeit, selbst zu bestimmen, was wir künftig sehen wollen. Jahrzehntelang haben wir uns geärgert, wenn geile Serien oder Shows nach ein paar Folgen in der „Nie wieder“-Schublade der großen Fernsehbosse verschwanden. Hier dürfen sogar Nicht-Prime-Kunden mitbestimmen, welche Idee produziert wird und welche nie über den Pilotenstatus hinweg kommt.

Aber bringt Zuschauer-Mitbestimmung automatisch auch wirklich bessere Serien hervor? Zwar kann Setting einer neuen Serienidee natürlich in einem halb- bis einstündigen Piloten vorgegeben werden. Ob die Geschichte wirklich gut ist und auch gut erzählt wird, das steht allerdings auf einem anderen Stück Zelluloid. Deshalb hier jetzt ein Rückblick auf die aktuellen Amazon-Eigenproduktionen und die Piloten der neuen Season.

 

Transparent

Zwei Golden Globes – und zwar die wichtigen für die beste Serie – Comedy und den besten Hauptdarsteller – Comedy. Ziemlich eindeutig: Transparent ist eine der besten neuen Serien auf dem Markt und Jeffrey Tambor erfindet sich als transsexueller Vater einer zerütteten Familie noch einmal neu. Dabei wussten wir doch spätestens seit Arrested Development, wozu der gute Mann fähig ist. Aber so grandios seine Performance auch sein mag, die ganze Serie ist es. Transparent entwickelt sich aus der ungewöhnlichen Ausgangssituation zu einer scharfen und ungeschönten Beobachtung des menschlichen Zusammenlebens mit all seinen Problemen (z.B. Unzufriedenheit in der Ehe und mit den eigenen Kindern), führt den Zuschauer aber auch auf unbekanntes Territorium, indem wir die Wandlung von Morton zu Maura inklusive aller Probleme, sowohl gesellschaftlich als auch familiär, Schritt für Schritt mitverfolgen können. Großes Erzählkino für die Mattscheibe, Transparent könnte für Amazon so ein Brandbeschleuniger werden wie House of Cards es für Netflix war. Die zweite Staffel ist schon in Auftrag gegeben.

 

Mozart in the Jungle

Wir wussten es doch schon immer: Die Klassiker sind die schlimmsten. Zumindest, wenn es nach MITJ geht. Denn in der Welt der klassischen Musik geht’s nicht gediegen und mit Stil zu. Nein, Sex, Drogen und Intrigen bestimmen nur den Proben-Alltag des Orchesters. Das mag zuerst ein bisschen überdreht wirken, durch den krassen Gegensatz zum Publikum und der „Politik“ hinter Musik bekommen die Schauspieler so aber etwas herrlich „normales“. Das wird allerdings sofort wieder aufgebrochen durch den ersten Hautdarsteller und neuen Dirigenten Rodrigo, gespielt vom Mexikaner Gael Garciá Bernal, der mit seinen unorthodoxen Methoden nicht überall gut ankommt, am wenigsten bei seinem Vorgänger Thomas Pembridge alias Malcolm McDowell. Bernal trägt die Serie mit seiner Exzentrik und führt so ganz nebenbei mal mit einem Pfarrer im Park Gespräche über den Kern von Religion, bevor er weiterjoggt. Ja, MITJ ist witzig, offziell auch als Comedy ausgeschrieben, aber zwischenzeitlich tapert die Handlung plötzlich in ganz andere Richtungen, träumt von Anarchismus und driftet sogar in die leicht psychedelische Ecke ab. In solchen Situationen wird dann über die Intentionen der Komponisten und den wahren Charakter von Musik philosophiert. Womit wir beim zweiten Hauptdarsteller wären, der Musik. Die wird teilweise so beiläufig in die Story eingewoben, dass man sie ähnlich dem modernen Radiogedudel, fast überhaupt nicht bemerkt. Dann wieder steht sie im Mittelpunkt und verbindet verschiedene Handlungsstränge so wunderbar, dass einem fast die Tränen kommen wollen. Und nach all dem Geheule gibt’s natürlich wieder wichtige Sachen: Sex und Drogen und klassische Musik.

 

Bosch

Ein Cop, der nicht nach den Regeln spielt? Kennen wir irgendwo her. Spätestens seit den 70ern muss jede Krimiserie, die etwas auf sich hält, so einen haben. Hier darf sich die US-TV-Allzweckwaffe Titus Welliver als namensgebende Hauptfigur dran versuchen und zunächst einmal macht er das auch nicht schlecht. Erschießt Leute, trinkt, ist geschieden, hört Jazz in seinem Haus in den Hollywood Hills. Ästhetik und Attitude stimmen also schonmal und auch schauspielerisch macht Welliver einen guten Job. Auch wenn sein Gesichtsausdruck  eher „verschlafen“ als „durchgedreht“ sagt, der Mann geht in Rekordzeit von 0 auf Psycho. Und auch der Kriminalfall, ein Junge, der in den 90ern verscharrt wurde, klingt gut und hat Potenzial. Nach dem Piloten allerdings geht’s mit der Serie bergab: Wegen eines Toten muss Bosch sich vor Gericht verantworten, das gibt für ein paar Folgen eine nette Nebenhandlung, dient aber wohl nur dazu, die Vergangenheit der Hauptfigur zu erzählen. Dass dann plötzlich gleich zwei Täter auf der Flucht und die Schuldigkeit immer wieder wechselt, mag der Spannung geschuldet sein, wirkt aber insgesamt zu gewollt und etwas wirr. Und nebenher muss natürlich noch die Familiengeschichte von einem eigentlich doch so guten Kerl erzählt werden. Da wird’s dann auch schonmal schmalzig.
Zwei Lichtblicke gibt’s aber noch, speziell für Fans von The Wire: Jamie Hector spielt den Partner von Bosch, in Baltimore war er noch der Drogenboss Marlo Standfield. Und Lance Reddick darf den gleichen Stock-im-Arsch-Polizeioberen spielen wie vorher.

 

Die aktuelle Pilot-Season

Mit sieben Pilotfolgen ging Amazon 2014/15 an den Start (die Kinderserien lasse ich mal außen vor). Querbeet geht’s mit den Themen: „Point of Honor“ mit dem Bürgerkriegssetting und viel Schmachtpotenzial sah verdächtig nach „Fackeln im Sturm“ aus, bei  „Down Dog“ , „Salem Rogers – Model of the year 1998“  und „Cocked“ versucht man sich am komischen Metier, „The man in the high castle“ ist hingegen was für Dramedy-Fans und „The New Yorker presents“ bringt verschiedene Kultur-Kurzfilme auf die Mattscheibe. Nach einigen Wochen Abstimmung steht nun fest, welche Serien zum Ende des Jahres hin produziert werden. Und zwar die folgenden:

 

The man in the high castle

In einer alternativen Wirklichkeit, in der die Achsenmächte den Zweiten Weltkrieg gewonnen und die USA unter sich aufgeteilt haben, werden gleich in der Pilotfolge die Leben eines noch unerfahrenen Untergrundkämpfers und einer jungen Frau, die sich eigentlich mit den Besatzern ganz gut arrangiert hatte, miteinander verwoben. Znächst einmal ist die Rollenaufteilung relativ klar. Nazis und Japaner sind böse, „echte“ Amerikaner sind natürlich gut. Doch so einfach ist das Ganze dann doch nicht, schon in der Pilotfolge erleben wir Verrat und Täuschung. Ich persönlich bin für solche Settings ja durchaus zu haben, Nazis gehen quasi immer. Woran ich aber schon beim ersten Anschauen denken musste, war NBCs „Revolution“: Guter Cast, tolle Grundidee – aber ziemlich schnell ging der WElt ohne Strom die Puste aus, spätestens in der zweiten Staffel wurde die Geschichte so absurd, dass man nur noch wegschalten, bzw. -klicken konnte. Was nicht heißt, das „The man in the high castle“ genauso enden muss. Aber eine geile Idee macht nunmal nicht gleich eine geile Serie.

 

Mad Dogs

Vier alte Buddys in ihren Vierzigern besuchen den fünften im Bunde. Der hat mit seinem Unternehmen dicke Kohle gescheffelt und lebt jetzt auf einem herrschaftlichen Anwesen im südamerikanischen Belize. Dort gibt es erstmal Fusel, Party und Sex. Soweit, so gut. Was zunächst nach einem „Entourage“-Aufguss für die gereifte Generation aussieht, bekommt aber schnell einen anderen Dreh, denn der gute reiche Freund ist nicht wirklich beliebt in seiner neuen Heimat. Und scheint auch nicht besonders viel Wert darauf zu legen, dass zu ändern. So wird reichlich Wasser in den Freundschaftswein gekippt, schließlich müssen sich die Freunde entscheiden, ob sie das Spiel weiterspielen oder sich wieder in die sicheren USA verziehen. Diese Entscheidung wird ihnen dann allerdings abgenommen.

So recht weiß ich nicht, was von „Mad Dogs“ zu halten ist. Zunächst einmal angelegt als Buddy-Geschichte driftet die Story schon in der Pilotfolge in reichlich ernste Sphären ab, maskierte Kleinwüchsige im Anzug tun ihr Übriges, um dem Ganzen zu etwas Absurdität zu verhelfen. Aber das alles kann ja noch kommen, vielleicht nimmt die Geschichte über eine ganze Staffel ja nochmal Fahrt auf.

The New Yorker presents

Der New Yorker ist seit seiner Gründung im Jahr 1925 der Hort urbaner Hochkultur und hat in seiner Geschichte schon zahlreiche große Autoren beschäftigt. Bekannt ist er besonders für seine Kurzgeschichten, Kritiken und Essays – das klingt als Serienkonzept erst einmal mehr nach BR Alpha als nach modernem Streaming-Angebot. Aber es funktioniert.

Das mag zum einen daran liegen, dass die offiziell als Doku-Serie angekündigte Serie nur Häppchen serviert. Im ersten Teil, einem Kurzfilm, führen Brett Gelman als halbnackter Untergangsprohphet und Alan Cumming als Gott ein Zwiegespräch darüber, wie der Allmächtige am besten durch seinen Propheten sprechen sollte. Schräg und wirklich lustig. Dann folgt ein Porträt der rumänischen Performance-Künstlerin Marina Abramovic. Ich selbst kann mit dieser Kunstform für gewöhnlich eher wenig anfangen, hier bleibe ich aber bis zuletzt gebannt dabei. Teil drei besteht aus einer Dokumentation, basierend auf einem weit ausführlicherem Artikel, über Tyarone Hayes, einen Biologen, der aufgrund einer Studie zu einem Herbizid von einem US-Chemieriesen fertig gemacht wird. Die Story ist wirklich interessant, das kurze Format allerdings nicht wirklich geeignet, alles richtig und ausführlich zu erzählen. Zum Abschluss gibt’s dann Poesie. Schauspieler  Andrew Garfield, seines Zeichens der Amazing Spider-Man, liest eine Ode an alle großen Bürder. Kurz, knapp, dazu noch mit dem Promifaktor, ist es ein schöner Abschluss für eine halbe Stunde Kultur.

 

Was also kann Amazon und was können wir serientechnisch erwarten? Wie wir alle wissen, ich hier aber trotzdem nochmal erwähne, ist dreimal Oldenburger Recht. Und mit den ersten Staffeln aus der vergangenen Season hat Amazon einmal voll ins Schwarze getroffen, dafür aber auch zweimal Produkte abgeliefert, die „ganz nett“ sind, was wie wir wissen der kleine Bruder von „scheiße“ ist.  Es kann halt nicht alles funktionieren. Die Qualität und auch der Erfolg von „Transpartent“ aber zeigen, dass Amazon durchaus fähige Leute beschäftigt und das Projekt „original programming“ durchaus ernst nimmt. Da die Entscheidung darüber, welche Serien denn nun produziert werden, von den Zuschauern selbst kommt, kann sich am Ende halt aber auch niemand so richtig beschweren. Das wird auch dieses Mal wieder so sein.

Björn

Björn

Serienaficionado, Gamefanatic, Musiknerd und bekennendes Web 2.0-Opfer mit einer besonderen Vorliebe für jedweden Schwachsinn, den das Netz zu bieten hat.
Björn

Letzte Artikel von Björn (Alle anzeigen)