Gehn wie ein Ägypter

Von der Spitze der großen Pyramide blicke ich über das weite Wüsten Land unter mir. Tempel, Grabmäler und kleine Siedlungen liegen verstreut im endlosen Gelb der Wüste. Dort braut sich ein Sandsturm zusammen und versetzt alles auf seinem Weg in temporäre Dunkelheit. Flusspferde und Krokodile suhlen sich an den matschigen Ufern des Nils, auf dem mächtige ägyptische, römische und griechische Schiffe wertvolles aus dem afrikanischen Hinterland an die Küste transportieren.

Es ist das alte Ägypten, wenn auch nicht das ganz alte, voller Mythen und Sagen, aber vielleicht doch die Version dieses ehemaligen Imperiums, welches der Realität vermutlich deutlich näher kommt als viele andere Abbildungen zuvor.  Ein dynamisches, aber auch gefährliches Land. Vereinigt unter einem dunklen Herrscher, auseinandergetrieben von fremden Mächten, rau und blutig, aber eben auch voll von Geschichte und von bezaubernder Schönheit. Und damit der ideale Handlungsort für Ubisoft, um seiner zuletzt etwas einfallslosen und ausgebremsten Assasins Creed-Reihe einen neuen Start zu ermöglichen.

Schon in den inzwischen immerhin neun Vorgängern, die der französische Publisher seit 2007 auf die Gamingwelt loslässt, bekleidete die Map stets zumindest die zweite Hauptrolle. Dass man sich jetzt wieder von den großen europäischen Städten als Spielort verabschiedet und ein ganzes Land in Beschlag nimmt, dürfte auch den Leveldesignern gefallen haben. Schließlich bietet das Setting mit Großstädten, kleinen Siedlungen, verlassenen Außenposten und ganz, ganz viel Sand dazwischen deutlich mehr Abwechslung und kann dadurch das Gefühl vom Vorvorvorgänger „Black Flag“ reproduzieren. Nur, dass es anstatt Wasser nun eben Sand gibt. Hatte ich schon den vielen Sand erwähnt?

Lasst das Metzeln beginnen

Eigentlich ist also alles gerichtet für eine triumphale Rückkehr der Reihe: Das Setting ist interessant, die grafische Umsetzung Spitze und auch die Story deutlich glaubwürdiger als man das kennt. Protagonist Bayek, ein Medjay und damit so etwas wie ein altertümlicher Polizist, metzelt sich von Rachegelüsten und Wut getrieben durch die Wüste. Doch statt einer eindimensionalen Figur mit scheinbar nur einem Daseinsgrund, entpuppt sich unser Kämpfer als ein Getriebener, der aber auch mal von seinem Rachefeldzug ablassen kann, sich mit Freunden auf ein Bier trifft und mit Kindern spielt. Unter der Oberfläche aber brodelt es stetig und Bayeks Vulkan kann jederzeit ausbrechen.

Was einem nach ein paar Spielstunden dann aber doch auf den Senkel geht, ist quasi der Geburtsfehler der Open-World-Games. Solche ein große Fläche will nun einmal nicht nur mit schönen Gebäuden und spektakulärer Natur, sondern auch mit reichlich Beschäftigungsmöglichkeiten gefüllt sein. Das ist sie auch. Ob der schieren Größe Ägyptens allerdings verkommen die zahlreichen Nebenquests nach einiger Zeit zum Immer gleichen: Irgendwer ist in Gefangenschaft und muss befreit werden. Irgendwelche Banditen haben irgendwas getan und müssen dafür sterben. Irgendwelches Material wird für die Aufrüstung unsere Medjay gebraucht und Bayek muss wieder reihenweise Rehe, Löwen oder Nilpferde erschlagen.

All diese Missionen verlängern das Spielerlebnis natürlich noch einmal, wobei man allein für die Hauptmissionen schon einmal gute 25 Stunden einplanen sollte, mit sämtlichen Nebenquest verdoppelt sich die Spielzeit.

Überall etwas zu tun zu haben, oder zumindest potenziell haben zu können, ist eigentlich eine schöne Sache. Den Großteil der Zeit verbringt man aber, neben dem Klettern und Cut-Scenes gucken, weiterhin mit dem guten alten Hauen und Stechen.

Endlich nicht nur stumpf draufhauen

Letzteres funktioniert wie das gesamte Kampfsystem in Origins etwas anders als zuvor. Denn die gute alte versteckte Klinge funktioniert erstens nicht mehr bei jedem Gegner und kann auch nicht mehr so ausufernd eingesetzt werden, um sich durch ganze Festungen zu meucheln. Das gleiche gilt für die seit Teil eins bekannte Konter-Mechanik, die Gegner in der Vergangenheit zu reinem Schlachtvieh degradierten. In Ägypten müssen Gegner nun einzeln markiert und mit taktischer Finesse aus dem Leben befördert werden. Besonders bei stärkeren, heftiger gepanzerten Bots reicht es damit nicht mehr, stumpf draufzuhauen bis der Schädel knackt. Was anfangs gewöhnungsbedürftig ist, führt im weiteren Verlauf zu sehr viel taktischeren und damit interessanteren Kämpfen bei denen man sich im Vorfeld überlegen sollte, ob man sie überhaupt eingeht oder nicht doch lieber still und heimlich durch die Gegend schleicht. Das alles kann man auch durch seine tierische Drohne, Adler Senu, aber bereits im Vorfeld abklären.

Für solche Kämpfe greift man natürlich nicht zur Faust oder der guten alten Kopfnuss: Origins hat ein großes Arsenal verschiedenster Fern- und Nahkampfwaffen in petto, dazu noch Schilde und ein paar nützliche Hilfsmittel. Je nach Level können immer stärkere Versionen beim Schmied im Spiel gekauft oder die schon vorhandenen einfach aufgerüstet werden – gegen digitales Geld natürlich. Auch echtes kann der Spieler loswerden, einen wirklichen Vorteil verschafft man sich damit aber nicht.

So schön das Land, so gut die Story und so blutig die Kämpfe aber auch sein mögen: In den ersten Tagen traten im Test auf einer Standard-PS4 immer wieder Bugs auf: Falsch gespawnte Gegenstände, lange Ladezeiten und ein immer wieder eingefrorenes Spiel trüben den Spaß doch gewaltig. Hier sollte Ubisoft schnell nachpatchen. Dann kann auch wieder ohne Vorbehalte gemeuchelt werden.

Björn

Björn

Serienaficionado, Gamefanatic, Musiknerd und bekennendes Web 2.0-Opfer mit einer besonderen Vorliebe für jedweden Schwachsinn, den das Netz zu bieten hat.
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