„Der unabgeschlossene Roman“ – oder die unendliche (Werber-) Geschichte

Konkurrenzkämpfe, Liebe, Freundschaft, Kriminalität. Was braucht ein Roman mehr? Komische Begriffe wie Pitchen oder Präsen vielleicht. Oder von Arroganz gezeichnete, völlig überdrehte Charaktere. Ja, könnte man machen – und macht Jan Hertel auch.

Der Autor von „Der unabgeschlossene Roman“ kommt aus der Werber-Branche, hat in Bremen Kulturwissenschaften studiert, unter anderem bei der Hamburger Agentur Scholz&Friends gearbeitet und ist mittlerweile bei Havas Worldwide Zürich als Senior Texter tätig.

Jan Hertel beim Arbeiten - irgendwie...
Jan Hertel beim Arbeiten – irgendwie…

Zwischendurch kreuzte irgendwann ein folgenschwerer Scherz Hertels Leben: Eine befreundete Texterin wollte reich und berühmt werden – mit einem Buch. Jeder Kreative kommt mal auf diese Idee. Bei ihr blieb es aber nicht bei einem flüchtigen Gedanken – sie schrieb. Drei Sätze. Immerhin. Den Rest sollte dann Jan Hertel in Angriff nehmen und dafür auch im Vorwort dankend erwähnt werden. Deal. Hertel schrieb und schrieb – und schreibt immer noch: Jeden Tag ein Kapitel. Meistens. „Der unabgeschlossene Roman“ eben. Gepostet wird dieser auf Hertels Webseite oder Facebook. Hier begann auch alles – der erste Social Media Roman wie jemand mal sagte, sagt Jan Hertel. Über 900 Likes hat die unendliche „Geschichte aus dem Leben von Werbern, Nichtwerbern und allen anderen Menschen“ dort mittlerweile.

Warum? Ganz einfach: Weil sie lustig, intelligent geschrieben – und vor allem mit sich spannend weiterentwickelnden Protagonisten versehen ist. Da wäre zum Beispiel Maren von Krampass. Krasser Name übrigens. Wie kommt man da drauf? Gut, wie kommt Klaus-Peter Wolf auf Ubbo Heide? Skurril. Da steckt man nicht drin. Weiter. Maren von Krampass also: taucht bereits im achten Kapitel auf, ist Psychotherapeutin, Mörderin und irgendwie auch Opfer ihrerselbst. Tragisch, aber tragend.

Leseprobe: "Der unabgeschlossene Roman"
Leseprobe: „Der unabgeschlossene Roman“

Oder der Werber Daniel und dessen On-Off-Freundin Valerie, die ihm zuerst ein „kleines“ Feuer im Garten beschert und dann später von einem anderen Mann schwanger vor Daniel im Egg Chair sitzt und selig Brunello süffelt.

Wer „Mad Men“ mag, wird „Der unabgeschlossene Roman“ lieben. Zugegeben: Phrasendrescherei. Aber sie passt. Punkt. Warum? Weil beide einen wortwitzigen Einblick in eine Welt geben, die für sich genommen schon kauderwelschig genug ist. Hertel aber befreit sich und seine Leser von der Abgehobenheit – zumindest von der stilistischen – und verzückt mit einer schnellen Echtzeit-Sprache. Perfekt fürs mobile Lesen.

Leseprobe: "Der unabgeschlossene Roman"
Leseprobe: „Der unabgeschlossene Roman“

Weniger perfekt allerdings fürs eigene Gemüt. Suchtpotenzial. Spätestens nach den ersten 120 Kapiteln braucht man Weißwein. Sancerre oder zumindestens Chablis. Wieso, weiß man auch nicht so genau. Kann sein, dass die Begriffe irgendwo in den kurzweiligen Erzählsträngen auftauchen. Auf jeden Fall schwirren sie nun im Kopf. Und dann meint man, diese Zeilen verdienen genau diese gustative Begleitung. Ja, ohne sie wäre ein Weiterlesen gar sträflich. Missachtend sozusagen.

Knappe 20 Minuten später und gute hundert Euro leichter sitzt man wieder vorm iPad – und schlürft sich genüsslich durch Montevideo, wo Maren von Krampass nach dem Mord an ihrer Schwester untergetaucht ist, durch Frankfurt, wo Daniel das „Hamburger Sie“ durchzusetzen versucht, und durch Paris, wo sich jeder eigentlich nur betrinkt, und sinniert selbst darüber, warum man eigentlich auch nie wusste, dass Franken in Bayern liegt.

Fazit: Hoher Wiedererkennungswert bei den Personen. Hohe Gefahr, sich beim Lesen zu verlieren. Hohe Wahrscheinlichkeit, mal nach Zürich zu fahren und mit Jan Hertel bei dem einen oderen Glas über radikale Affektextinktion, Amir Kassaei und Billy-Bord-Regale zu diskutieren.

Amina

Amina

Online-Redakteurin bei NWZonline
Amina Linke (Jahrgang '83) wäre gern Schlagzeugerin oder Motocrossfahrerin geworden. Balletttänzerin wäre auch ok gewesen. Jetzt schreibt sie. Mit Leidenschaft. Am liebsten über alles, was irgendwie widersprüchlich, skurril oder wenigstens anders ist. Passt doch.
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